Interview: „Ich bereue es, Mutter geworden zu sein“

Sarah Fischer

Sarah Fischer arbeitet in Teilzeit, ihre Tochter ist drei, sie lebt mit ihrer Familie in München. Alles ganz normal. Doch was sie sagt, ist ziemlich heftig: „Ich bereue es Mutter geworden zu sein, denn ich zerreiße mich jeden Tag aufs Neue.“ Über „Regretting Motherhood“ ist im vergangenen Jahr viel geschrieben worden. Sarah Fischer ist die Erste, die der Debatte ein Gesicht gibt. Und wenn man liest, was sie sagt, klingt das noch nicht mal sonderlich verrückt, denn sie beschreibt den ganz normalen Mütter-Alltag. 

Vom eigenen Kind frustriert und genervt zu sein, das kennt jede Mutter. Aber Sie sagen, dass Sie es bereuen, Mutter geworden zu sein. Wieso?

Ich weiß, bereuen ist ein hartes Wort. Und deswegen sage ich auch im gleichen Satz: ich liebe meine Tochter über alles. Aber darum geht es gar nicht, es geht nicht darum, die Liebe zu meinem Kind anzuzweifeln. Sondern mir geht es darum, das Mutterbild in Deutschland, in das wir alle hineingepresst werden, anzuprangern.

Was ist dieses Mutterbild und was stört Sie daran?

Unsere Gesellschaft urteilt darüber, wie eine Mutter zu sein hat. Es fängt schon dabei an, ob ich die Einladungen für den Kindergeburtstag selbst bastele oder schnell in einem Geschäft besorge, ob ich den Kuchen zum Kitafest kaufe oder selber backe. Aber es geht noch weit darüber hinaus. Von der Schwangerschaft an mischt sich das soziale Umfeld ein. Und mich nervt dieses vermeintliche Mutter-Kind-Idyll.

Was meinen Sie damit?

Auf dem Spielplatz dachte ich anfangs immer: Bin ich denn die Einzige hier, die keinen Spaß daran hat, hier rumzuhocken? Ich dachte, mit mir stimmt etwas nicht. Ich bin keine eiskalte Egoistin, anfangs habe ich noch gedacht, ich müsse nur mehr an mir arbeiten. Ich habe lange mit mir gehadert und mir immer wieder gesagt, jetzt konzentrier dich doch mal auf dein Kind.

Sie sind mit knapp 40 Mutter geworden. Haben Sie sich bewusst für das Kind entschieden?
Ja, mir war auch klar, dass ich dann beruflich zurückstecken werde, aber mir war nicht klar, dass ich so extrem eingeschränkt sein würde und dass mir solche Steine in den Weg gelegt werden würden. Ich organisiere Reisen für TV-Teams, meine Tochter war schon mit mir in 35 Ländern. Überall hörte ich nur: „So viel reisen mit dem Kind, das kannst du doch nicht machen“ oder „Die Mutter gehört zum Kind.“

Und das stimmt in Ihren Augen nicht?

Was ich dazu sage, ist: Mutterschaft ist kein Glücksgarant. Ich weiß, dass es vielen Frauen so geht wie mir, deswegen breche ich dieses Tabu und rede darüber. Ich möchte darauf aufmerksam machen, damit sich in unserer Gesellschaft etwas ändert.

Was genau sollte sich ändern?

Die Familienpolitik etwa in Skandinavien und Frankreich ist schon viel weiter. In Deutschland ist in der Regel der Mann der Hauptverdiener – auch weil der Doppelverdienerhaushalt hier staatlich nicht gefördert wird. In Deutschland gilt das ungeschriebene Gesetz, dass eine Mutter Verzicht üben und eigene Wünsche hinten anstellen sollte. Das ist Quatsch, denn es gibt auch ein „sowohl als auch“. Jede Mutter sollte es so machen, wie sie es für richtig hält und keiner sollte sich anmaßen, darüber zu urteilen. Hier heißt es so oft „das macht man als Mutter nicht“. Dieser Satz ist für mich typisch deutsch.

Was genau vermissen Sie denn so sehr aus ihrem vorherigen Leben?

Alles, was ich früher gern gemacht habe, wozu mir jetzt Zeit und Gelegenheit fehlen. Mir geht es dabei um Freiheit, Selbstbestimmung, finanzielle Souveränität und Spontaneität. Aber das trifft es noch nicht einmal richtig. Wenn eine Frau zur Mutter wird, bleibt eben manchmal die Frau, die sie vorher war, auf der Strecke. Ich meine aber, dass das nicht so sein müsste – wenn die Gesellschaft die Mütter besser unterstützen würde. Am allermeisten vermisse ich, dass ich früher nicht ständig begutachtet und bewertet wurde.

Was ist mit den vielen Glücksmomenten, die einem so ein kleiner Mensch beschert? Lachen, Umarmungen, bedingungslose Liebe – wiegt das den Stress nicht auf?

Aber natürlich! So geht es doch jedem Menschen. Schöne Erlebnissen wiegen Stress auf – aber man kann ja auch nicht den ganzen Tag nur sein Kind betrachten, das würde dann ja wohl einen Koller kriegen.

Ein zweites Kind wird es bei Ihnen nicht geben?

Auf gar keinen Fall.

Das Interview ist ein Auszug aus „Ich zerreiße mich jeden Tag aufs Neue“,
ein Text der am 16.2.2016 im Magazin des Kölner Stadt-Anzeigers erschienen ist.
Sarah Fischer hat ein Buch zum Thema geschrieben:
Die Mutterglück-Lüge: Regretting Motherhood – Warum ich lieber Vater geworden wäre, Ludwig-Verlag, 16,99 Euro.

13 Gedanken zu “Interview: „Ich bereue es, Mutter geworden zu sein“

  1. Liebe Christina, vielen Dank für das interessante Interview! Erst habe ich mich furchtbar empört, dass jemand seinem Kind öffentlich die Botschaft zukommen lässt, „ich bereue es, dich in die Welt gesetzt zu haben“. Aber es geht Sarah Fischer wohl darum, mehr Unterstützung für Mütter einzufordern, und wie wir alle wissen, setzt das Marketing gern auf markige Sprüche. Hoffentlich findet sie eines Tages die richtigen Worte, um ihrer Tochter zu erklären, dass das wohl nicht persönlich gemeint ist. Liebe Grüße, Uta

    Like

    • Ja, daran habe ich auch schon oft gedacht, was ihre Tochter wohl in ein paar Jahren dazu sagen wird. Ich persönlich kann mit „regretting motherhood“ nicht viel anfangen, weil ich finde, dass ein Kind das größte Geschenk des Lebens ist. Aber es gibt offenbar einige Mütter, die so fühlen wie Sarah. Die Ursachen sind sicher komplex, bestimmt liegt es auch ein Stück weit an der eigenen Familiengeschichte. Danke dir und Grüße, Christina

      Like

  2. Man benötigt als Mama eben auch ein dickes Fell, um sich nicht unter Druck setzen zu lassen. Kritik und gefühlte Erwartungen an sich abperlen zu lassen, das ist ja auch für nicht-Mamas nicht immer leicht.
    Aber ganz ehrlich, welches Vorbild wollen wir unseren Kindern sein? Wollen wir ihnen wirklich vermitteln, dass es ärgerlich ist, Rücksicht nehmen zu müssen, mal auf etwas verzichten zu müssen, sein Leben ein paar Jahre umzustellen? Freunde, Kollegen und auch die Familie leiden doch unter einer solchen Einstellung.
    Ich finde es total in Ordnung, wenn jemand keine Kinder möchte. Das sich Wundern und sich Ärgern darüber, dass man zurückstecken muss, das kann ich jedoch nicht verstehen und nachvollziehen. Immer nur Ich, Ich, Ich!
    LG,
    Stefanie – die jetzt viel lieber home-office machen würde, aber gleich kochen muss;-) und sich dann über die Schulgeschichten ihrer Kinder freut…

    Like

    • Hallo Stefanie, du hast vollkommen Recht, dass man gerade als Mutter viele vermeintliche oder gefühlte Erwartungen einfach an sich abperlen lassen muss. Mir fiel das gerade in der Anfangszeit mit Baby nicht leicht, inzwischen geht es besser. Christina Mundlos, eine Soziologin die auch zum Thema Regretting Motherhood forscht, findet: „Mütten sollten sich nicht ständig fragen, was soll ich alles schaffen? Sondern besser: Was will und kann ich alles schaffen?“ Ein Tipp, der wirklich Sinn macht. Danke für deinen Kommentar, Christina

      Like

    • Hallo Sina, das Interview habe ich für den Kölner Stadt-Anzeiger geführt, ich habe also selbst mit Sarah Fischer gesprochen. Ich fand es einfach heftig, dass jemand sagt „ich bereue es, ein Kind zu haben.“ Ich kann mir das so absolut nicht vorstellen, ich finde es wirklich schön, Mutter zu sein. Trotz des ganzen Stresses, den man manchmal hat. Bei Sarah ist es glaub ich einerseits schon ein bisschen Marketing, „regretting motherhood“ ist einfach gerade Thema und das so offen zu sagen, fördert sicherlich den Verkauf ihres Buches. Andererseits glaube ich ihr, wenn sie sagt, sie liebt ihre Tochter trotzdem über alles und es sind die Umstände, die ihr das Leben schwer machen. Ich finde es definitiv mutig von ihr. Auf das Interview haben wir sehr viele Reaktionen und Leserbriefe bekommen, viele waren empört, andere haben sie aber auch verstanden. Wie ist denn deine Meinung dazu? Grüße, Christina

      Gefällt 1 Person

      • Also ehrlich? Ich kann sie verstehen. Nirgends wird gefragt, ob der Vater zurücksteckt im Beruf. Man muss als Frau sein Leben 2 mal umkrempeln, als Mann nur 1x. Man muss dann eben nur Papa sein und Verantwortung haben. Ich musste meinen Vollzeitjob mit Führungsposition aufgeben, da der Arbeitgeber nicht bereit war, dass ich Teilzeit arbeite. Bei Vollzeit hätte ich bei meinen Arbeitszeiten mein Kind 1-2x pro Woche gesehen. Ich bin ehrlich, ich bereue es nicht Mama zu sein, aber verstehe sie voll und ganz und bin auch nicht geschockt. Auch im neuen Job muss ich wieder zurückstecken, da es keine gute Betreuungsmöglichkeiten gibt, die auch noch bezahlbar sind. Ich denke in der modernen Gesellschaft ist es schwer, da viel Traditionelles kombiniert mit der Moderne arrangiert werden muss. Früher war man eben nur Mama. Liebe Grüße Sina

        Like

      • Ja, du hast recht. Heute wollen wir Frauen alles: Kinder, Erfolg im Job, gute Freundschaften, dann auch noch eine durchtrainierte, sexy Partnerin sein … Das macht es kompliziert, früher waren die Rollen klarer. Man war festgelegter, aber es hat auch manches einfacher gemacht. Man musste zumindest nicht immer über alles diskutieren mit dem Mann. Das tut mir leid, dass der Wiedereinstieg bei dir so schwierig war. Wenn dein Kleiner größer ist, wird es bestimmt einfacher, wieder mehr zu arbeiten. Unsere Jungs müssten übrigens etwas gleich alt sein, beide von 2012. Drücke dir die Daumen, dass sich arbeitsmäßig bei dir alles so entwickelt, wie es für euch am besten passt. Grüße in den Schwarzwald, Christina

        Gefällt 1 Person

      • Ich denke mal auch, dass nicht unbedingt wir Frauen das alle so wollen. Es wird erwartet. Nicht nur durch das Umfeld und weil es Mode ist. Nein der Staat verlangt es auch. Für vieles braucht es heute 2 Einkommen, um ein Leben zu haben in dem man dem Kind etwas bieten kann. Aber der Staat ist es eben auch, der einem Steine in den Weg legt. Wie schon erwähnt ist es in Skandinavien da besser gestaltet.
        Ja meiner ist auch von 2012, aber gerade noch so. Weihnachtskind!
        Viele Grüße, Sina

        Like

      • Ja, das stimmt, ohne zwei Einkommen geht es fast nicht mehr, zumindest wenn man in der Stadt wohnt. Ein Christkind, wie schön! Meiner ist genau ein halbes Jahr vor Heiligabend geboren. Die optimale Zeitspanne zwischen den Geschenken 🙂

        Gefällt 1 Person

      • Auch auf dem Land braucht es 2 Einkommen. Man möchte ja gerne ein Häuschen mit Garten, Urlaub. 1 Auto. Ja wir haben nur 1 Auto.
        Fast ein Christkind, ja. Das ist für Kids allerdings schrecklich 🙃🤔. Im Sommer ist natürlich perfekt für einen Geburtstag.

        Like

      • Ich denke manchmal darüber nach, ob wir das wirklich alles brauchen. Dem Kleinkind zumindest ist es egal, ob er am Baggersee buddelt oder auf Mallorca, ob sein Bett in einer Wohnung steht oder in einem Haus. Natürlich ist es toll das alles zu haben, aber ich denke in letzter Zeit immer öfter: je mehr du hast, desto mehr zeit musst du auch darin investieren. Je mehr Dinge du hast, desto mehr Zeit musst du aufwenden, sie zu pflegen. Eigentlich sind es ja nur wenige Sachen, die wir zum Glücklich sein brauchen und die meisten davon kann man nicht kaufen. Aber man gewöhnt sich eben so schnell an all die schönen Dinge und will sie dann auch nicht mehr missen. Lg, C

        Gefällt 1 Person

      • Man muss aber dazu sagen, dass wir beide mit Haus und Garten und regelmäßigen Urlauben aufgewachsen sind. Ich könnte jetzt nicht in einer Wohnung leben. Und das Kind hätte nichts zum Draußen toben. In der Stadt mag es überall Spielplätze geben wir haben hier keinen. Ich freue mich über Urlaub im Süden, denn endlich ist es mal 1-2 Wochen lang konstant warm mit Sonne. LG

        Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..