Dreijährige im Freizeitstress

Gitarre für Kinder

Manchmal fühle ich mich einsam. Ich rede von nachmittags, wenn alle meine Freundinnen und ihre Kinder mit ihren vielen Kursen beschäftigt sind. Sie gehen zum Kinderturnen, Schwimmen, zum Fußball, Tanzen oder zur musikalischen Früherziehung. Wir sind die einzigen in unserem Freundeskreis, die momentan keinen Kinderkurs besuchen. Auch, weil ich da gerade absolut keine Lust drauf habe und mein Sohn nach eigenen Angaben auch nicht. Trotzdem drängt sich hin und wieder der Gedanke in mein Hirn: Sollten wir nicht vielleicht doch? Verpassen wir etwas? Oder ist es gerade genau gut so wie es ist?

Ich gebe es zu, ich habe diese ganzen Kurse gerade ein bisschen über. Wahrscheinlich, weil wir im ersten Babyjahr einfach sehr viele davon gemacht haben: Babyschwimmen, Rückbildung mit Babymassage, Babyfitness, betreute Krabbelgruppe und Musikgarten. In der Elternzeit hat man ja noch Zeit für so etwas.

Rückblickend haben mir die Kurse auch Spaß gemacht, aber eigentlich haben sie mehr uns Müttern und unserem Kennenlernen und Kontaktaustausch genutzt, als den Babys selbst. Seitdem mein Sohn in den Kindergarten geht, denke ich hin und wieder: Ach, nochmal Musikgarten, das wär doch schön für ihn. Doch immer wenn ich ihn bisher gefragt habe, heißt es: Nö, will ich nicht.

Und ehrlich gesagt bin ich da auch nicht böse drüber. Mit arbeiten und Kindergarten sind wir ziemlich gut ausgelastet. Meist treffen wir einmal unter der Woche sowieso noch befreundete Mütter und Kinder – also die, die gerade kursfrei haben. Entweder zu Hause oder in der Stadt. Die Omas und Opas sehen wir auch regelmäßig. Und zusätzliche Erledigungs-Termine hat man ja eh noch genug. Vom Pensum her reicht uns das. Und trotzdem habe ich manchmal diese nagenden Gedanken: Sollten wir nicht doch? Vielleicht wäre das ja wirklich gut für seine Entwicklung und vielleicht verpassen wir ja was …

Für mich fühlt es sich so an, dass diese Gedanken ein Stück weit auch dem Zeitgeist geschuldet sind und unserer sich immer schneller drehenden Leistungs- und Konsumwelt. Ich finde, es ist so typisch für unsere Zeit, dass wir oft meinen, immer noch mehr machen zu müssen mit dem und für das Kind. Dabei wäre wahrscheinlich genau das Gegenteil richtig. Entschleunigung. Ich kann mich jedenfalls nicht dran erinnern, dass meine Mutter mit mir im Kindergartenalter je einen Kurs besucht hätte. Freizeitstress für Dreijährige in den 80er Jahren? Gab es eher nicht.

Hauptsache, eine gute gemeinsame Zeit

Da entspannt es ungemein, Sätze zu lesen wie diesen: „Alles was Kinder für eine maximale Gehirnentwicklung und ihr Glück brauchen, ist viel Spaß mit Mama und Papa.“ Das sagt Fabienne Becker-Stoll in der März-Ausgabe der Zeitschrift Eltern. Sie ist die Direktorin des deutschen Staatsinstituts für Frühpädagogik. Ihr hübsche Satz klingt wie Musik in meinen Ohren.

Auch meine Lieblingsbloggerin Uta schreibt in ihrem wieder mal lesenswerten Post: „Wenn wir es besonders gut meinen, präsentieren wir den Kindern ein Portfolio an Beschäftigungen: Zoo, Kinderturnen, Kasperle? Dabei würde es auch reichen, auf der Wiese Zitronenfalter zu beobachten, auf Mauern zu balancieren und zusammen Faxen zu machen. Einfach zusammen sein. Das Kind-Sein genießen, das Mutter-Sein genießen.“

Vor ein paar Monaten schrieb sie auf ihrem Katzenklo-Blog darüber, dass jedes Kind jede Woche das Recht auf mindestens einen unverplanten Nachmittag haben sollte. Ohne Musikgarten, ohne befreundete Mütter treffen. Einfach Zeit zu Hause, Zeit für Langeweile und gleichzeitig zum neue Ideen entwickeln. Daran erinnere ich mich oft, wenn ich so über unsere eigenen Nachmittagsaktivitäten nachdenke. Und das beruhigt mich dann sehr.

Ebenso der Vortrag von Pädagoge Rainer Beckedorff, den ich mir vor ein paar Monaten angehört habe. „Wie viel Erziehung braucht ein Kind?“ war der Titel. Sinngemäß sagte der Erziehungsfachmann: „Wenn ich höre, was viele Familie an den Wochenende so alles unternehmen, wird mir schwindelig. Dabei würde es oft vollkommen reichen, einfach nur gemeinsame Zeit zu Hause zu verbringen und in den Tag hinein zu leben. Vielleicht einen Kuchen zu backen oder gemeinsam etwas zu spielen. Einfach mal den ganzen Tag im Schlafanzug zu bleiben. Das reicht. Es muss nicht immer die große Action sein.“

Andererseits: Wenn man mit einem Kleinkind ein ganzes Wochenende nur zu Hause ist, wird es irgendwann auch ziemlich anstrengend. Da muss wohl jede Familie ihre eigene, richtige Balance finden. Wir werden sicher irgendwann  auch wieder Kinderkurse besuchen. Im Moment aber chillen wir lieber noch ein bisschen. Und ihr so?

 

6 Gedanken zu “Dreijährige im Freizeitstress

  1. Wir haben einmal die Woche musikalische Früherziehung im Kindergarten, g.h. die Musiklehrerin kommt dorthin und macht das, was man sonst im Nachmittagskurs machen würde. Es geht schon deutlich über die Musikerlebnisse im normalen Kindergartenalltag hinaus, die Kids lieben es und wir finden das super praktisch 😀

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    • Das hört sich gut an, sowas gibt es bei uns im Kindergarten leider nicht, allerdings in anderen Kitas hier in der Gegend. Das ist wirklich praktisch, dass ihr dann nachmittags nicht noch irgendwo hinfahren müsst sondern alles direkt im Kindergarten passiert. Und wenn dein Kind happy dort ist, ist es doch perfekt! Genau so sollten die Kurse sein. Lg, Christina

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      • Bei uns gibt es daneben noch Schwimmen. In den Schulen ist hier auch so, außer natürlich an will was spezielles machen.

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  2. Ach, ich finde dass das doch alles nicht muss. Und wenn dein Sohnemann sagt er hat keine Lust, dann ist das doch auch gut so.
    Ihm wird nichts fehlen. Warum auch? Ich habe noch nie gehört, dass jemand Defizite hat, weil er nicht beim Kindertanzen war.
    Also chillt ruhig noch schön und mach nur das worauf ihr wirklich Lust habt.
    Liebe Grüße 🙂

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    • Danke dir. Ja, das machen wir auch. Meine Kollegin erzählte gestern vom Fußballverein ihres 5-Jährigen: Er hat zweimal pro Woche Training und jeden Samstag ein Spiel, jede zweite Woche auch noch auswärts. Ein Elternteil muss immer dabei sein. Da muss man dann schon seeehr überzeugt von der Sache sein … 🙂 Grüße zurück, Christina

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      • Ja, das klingt heftig.
        Na, jedem das Seine 😉
        Für mich wäre das auch viel zu viel Freizeitstress, aber für andere ist es vielleicht genau richtig so.
        Ich wünsche dir jedenfalls ein entspanntes Wochenende 🙂

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