Auf Übernachtungstour mit dem Kindergarten in die Jugendherberge? In der dritten Klasse drei Tage auf den Bauernhof? Viele Eltern finden das zu früh – oder auch zu teuer, wenn es um die Fahrten in den höheren Klassen geht. In fast jeder Schule gibt es Eltern, die ihr Kind nicht mitfahren lassen wollen. Robert Rauh, Deutschlands beliebtester Lehrer, erzählt im Interview, warum Klassenfahrten zwar anstrengend, aber gleichzeitig so sinnvoll wie Zeugnisse sind. Und er berichtet von seiner aufregendsten Tour: als er mit seinen Schülern ohne Geld, ohne Bus und ohne Hotel in Rom gestrandet ist.
Robert Rauh ist Gymnasiallehrer für Geschichte, Politik und Deutsch. 2013 wurde der Berliner mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet.
Herr Rauh, kennen Sie Eltern, die ihr Kind nicht mit auf Klassenfahrt schicken wollen?
Ja, es sind vor allem Eltern, die einen Kontrollverlust befürchten oder denen die Fahrten einfach zu teuer sind. Mit meinem Leistungskurs Geschichte fliege ich im Frühjahr nach Rom, die fünf Tage kosten inklusive Hotel, Programm und Halbpension 450 Euro. Wenn man zwei Kinder hat, die im selben Jahr an einer Klassenfahrt teilnehmen, ist das natürlich viel Geld.
Wie anstrengend sind diese Fahrten eigentlich für Lehrer?
Eine Klassenfahrt ist ein 24-Stunden-Job. Wenn man in einer Ferienanlage wohnt und die Kinder auf verschiedene Bungalows verteilt sind, dann ist das eine logistische Herausforderung. Auch wenn man zu zweit fährt. Man muss einfach den ganzen Tag präsent sein, meist auch bis spät in die Nacht. Manche meiner Kollegen tun sich das nicht mehr an.
Zu Recht?
In meinem Augen nicht. Ich finde Klassenfahrten so unverzichtbar wie Zeugnisse. Sie gehören zum emotionalen Höhepunkt eines Schuljahres und dienen der Beziehungskultur. Nicht nur unter den Schülern, sondern auch zwischen Schülern und Lehrer. Auf solchen Fahrten lernt man die Schüler viel besser kennen. Und die Planung und die Freude auf eine gemeinsame Fahrt ist auch ein Motivationsmotor für die Unterrichtsarbeit.
Was war denn Ihr aufregendstes Klassenfahrt-Erlebnis?
Im Jahr 2010 sind meine Schüler und ich in Rom hängengeblieben – wegen des Ausbruchs des berühmten isländischen Vulkans Eyjafjallajökull. Es hob kein Flieger mehr ab und im Zug bekamen wir auch keinen Platz. Da wir nicht länger im Hotel bleiben durften und zudem nicht genug Geld für ein neues hatten, wurden wir auch noch obdachlos. Es war wirklich heftig, meine Kollegin ist krank geworden und zwei Schülerinnen waren kurz davor, in Panik zu geraten.
Was haben Sie gemacht?
Ich habe motiviert und vie lmit dem Reisebüro telefoniert. Die haben eine Münchener Schüler-Lehrer-Gruppe ausfindig gemacht, die mit dem Bus vor Ort war. Zunächst wollten die uns nicht mit zurück nehmen, als sie gehört haben, wir kommen aus Berlin-Hohenschönhausen. Aber ich habe dem Lehrer am Telefon unsere dramatische Situation geschildert. Schließlich sind wir mit den Münchnern in einer Nachtfahrt über die Alpen gebrettert, um am nächsten Tag den schon reservierten Bus nach Berlin zu bekommen.
Was ist das Resultat von Klassenfahrten?
Nach jeder Fahrt ist das Verhältnis zur Lerngruppe ein anderes. Es ist entspannter, lockerer, vertrauter. Klar, denn die Schüler lernen mich als Lehrer ja auch von einer anderen Seite kennen.Ich bin zwar hinterher völlig fertig, aber die Anstrengung lohnt sich.
Ist die Sorge von Eltern berechtigt, dass auf solchen Fahrten etwas Schlimmes passieren kann?
Es passiert ja immer etwas. Entweder jemand verletzt sich, oder jemand verliert etwas. Oder es gibt eine Prügelei, auch zwischen Mädchen habe ich das schon erlebt. Auf einer Klassenfahrt in Brandenburg gab es Ärger zwischen unseren Schülern und den Einheimischen. Das Hauptproblem in den höheren Klassen ist ganz klar der Alkohol.
Wie reagieren Lehrer in solchen Fällen am besten?
Wir belehren die Schüler vorher und zeigen klare Konsequenzen auf. Wenn ein Schüler massiv gegen Regeln verstößt, müssen die Eltern ihr Kind abholen. Auf einem Elternabend fragte ein Vater: „Wie können Sie garantieren, dass meine Tochter dort keine Drogen nimmt?“ Wir haben ihm gesagt, dass so etwas auch passieren könne, wenn er die Tochter zu Hause auf eine Party gehen lässt. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, auch wenn wir als Lehrer unser Bestes geben.
Buchtipp: „Schule Setzen Sechs. Von Lehrern und Eltern, die trotzdem nicht verzweifeln“ von Robert Rauh, Kösel Verlag 2015, 17,99 Euro
Das Interview ist ein Auszug der Titelgeschichte „Ohne Mich!“ aus dem Magazin des Kölner Stadt-Anzeigers vom 2. November 2015
Danke für das schöne Interview und den Buch-Tipp! Das Werk werde ich mir sicher besorgen. Ich glaube, wir brauchen dringend neue Arbeitsstrukturen für Lehrer, viel mehr Teamwork, bessere Arbeitsbedingungen, Supervision … Wenn sie so ausgebrannt sind vom Alltag in der Schule, dass sie nicht mehr mit auf Klassenfahrt gehen möchten, finde ich das auch sehr schade. Liebe Grüße, Uta
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