Meine größte Angst als Mutter

Kuscheltier im Gras

Seitdem ich ein Kind habe, bin ich verletzlicher. Als Mutter denkt man ja ständig daran, was dem Kleinen alles passieren könnte: Stolpern, Verkehrsunfall, Krankenhaus und so weiter. Diese Angst trage ich gut verschnürt wie in einem Päckchen in mir und lasse sie ihn möglichst gar nicht spüren. Mein Dreijähriger soll klettern, toben und frei sein. Aber in manchen Situationen wird mir diese Angst vor dem Unfassbaren, die wohl alle Eltern kennen, wieder besonders bewusst. So auch vor zwei Tagen, als ich in der Bahn diesen Text hier gelesen habe und mir sofort die Tränen in die Augen stiegen.

Der Text ist eine Todesanzeige. Sie fiel mir in unserer Tageszeitung sofort auf, weil sie rosa eingefärbt war. Mein Blick fiel darauf und ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen:

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Geliebte Sonja,

vor zehn Jahren wurdest du als hoffungsvoller Teenager
durch einen entsetzlichen Unfall aus unserer Familie gerissen.
Du liebtest Dein Ballett und Deine Pferde so sehr.

Wir waren unendlich stolz auf Dich.

Am 29.4.2006 stand ganz plötzlich die Welt für uns still:
Wir waren sicher, sie würde sich nie wieder drehen für uns.

Und doch hat sie sich ganz langsam wieder in Bewegung gesetzt,
still, leise und unmerklich. Heute, nach zehn Jahren, sind wir
vollkommen sicher, dass du unsere Geschicke leitest und
Deine schützende Hand über uns hältst.
Du weist uns unseren Weg. Die Kraft, ihn anzunehmen
und zu gehen, bekommen wir von Dir.

Wir sind dankbar, Dich fünfzehn Jahre erlebt zu haben.
Das Beste, was Papa und ich erschaffen haben, sind unsere
Kinder, dich und Philippe. Das allein genügt, um sagen zu
können: wir hatten ein wundervolles Leben.
Wir werden den heutigen Tag in Gedanken nur bei Dir sein.
Wir schicken unsere ganze Liebe und Sehnsucht zu Dir
in den Himmel. Es wird der Tag kommen, an dem wir
uns wieder sehen.
Die Liebe zu Dir wird uns weiterhin dabei helfen,
die Herausforderungen des Lebens anzunehmen.

Bernd, Bettina und Philippe XY.

Kölner Stadt-Anzeiger, 29.4.2016

 

Was für ein Satz: „Das Beste was wir erschaffen haben, sind unsere Kinder. Das allein genügt, um sagen zu können: wir hatten ein wundervolles Leben.“ Ab da konnte ich meine Tränen nicht mehr zurück halten, auch wenn mich die anderen in der Bahn merkwürdig angeschaut haben. Was für ein Leid muss diese Familie erfahren haben, was für einen immensen Schmerz. Und trotzdem so hoffnungsvoll und nicht verzweifelnd, so liest es sich zumindest.

Genau diesen Satz habe ich in ähnlicher Form auch schon mal gedacht. Ein Kind zu haben und aufwachsen zu sehen, ist das größte Glück. Allein das macht das Leben schon lebenswert. Wie unvorstellbar grausam muss es sein, wenn das eigene Kind aus dem Leben gerissen wird.

Dieser Text hat mich wirklich berührt. Ich gebe es zu, ich lese oft die Todesanzeigen in der Zeitung. Wie viele andere übrigens auch. In unserem schnellen, hektischen, modernen Alltag haben wir den Tod ausgeklammert, keiner will daran denken und auch nicht darüber sprechen. Aber irgendwann müssen wir alle gehen und diese Texte erinnern mich beim Lesen jedes Mal wieder daran. Wie endlich alles ist.

Die Zeilen für Sonja haben mich an meine größte Angst als Mutter erinnert, an das Unvorstellbare, den Unfalltod des eigenen Kindes. Und mir wieder bewusst gemacht, wie kostbar das Leben eigentlich ist. Mit all seinen Unwägbarkeiten, stressigen Phasen, Höhen und Tiefen.

Ich wünsche der Familie weiterhin viel Kraft. Und alles Gute. Von Herzen.

 

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